Christ & Welt 10.11.1949


Weg und Wirkung Ernst Jüngers

Nicht der erste, sicher aber der erste bedeutsame Essay über Ernst Jünger wurde im Jahre 1937 von dem jungen Eugen Gottlob Winkler in dem schmalen Bande "Gestalten und Probleme" veröffentlicht. Er trägt den Titel "Ernst Jünger und das Unheil des Denkens". Winkler schrieb damals: "... Den Gedanken in Jüngers Schriften kommt nicht die Endgültigkeit geistiger Verfestigung zu. Das Denken geht als ein unaufhörlicher Vorgang durch sie hindurch. Eine Analyse ... würde fälschende Vereinfachung sein, der eine zweite, anderswo eingesetzte als ein genauer Widerspruch entgegenstünde."

Ein Analysierender mag sich mit der Aufnahme eines einzelnen Tatbestandes begnügen: dem Nihilismus Ernst Jüngers. Er findet dafür genügend Belege. Wenn er dann feststellt, daß Jünger an anderer Stelle sich als heroischen Realisten bezeichnet und damit in gewisser Hinsicht recht hat; wenn er ferner auf hintergründige Seiten stößt, die die Anschauung einer ekstatischen Seele diktierte, so mag er sich von diesem Gegenstand, ungemut über seine Vieldeutigkeit abkehren und ihn entrüstet der Sinnlosigkeit zeihen ... so, als ein Ungefähr, tritt Jüngers Menschenbild auf."

Aus diesen Worten ermißt man, wie schwierig es ist, die Gestalt Jüngers biographisch deutend zu erfassen. Solange man sich mit dem Dichter Ernst Jünger allein beschäftigt, oder noch enger, mit der Sprache Ernst Jüngers, solange mag Eindeutiges noch feststellbar sein. Aber damit ist nicht viel gewonnen. Im Gegenteil. Es besteht nunmehr die Gefahr, daß man die weltanschaulichen Fragen, die Ernst Jüngers Schriften aufwerfen, beiseite läßt. Ja, viele sagen, Jünger habe im Grunde gar keine Weltanschauung. Alles gehe bei ihm von der Sprache aus. und diese Sprache sei gerade deshalb so faszinierend, weil sie irgendwo etwas Geheimnisvoll-Mystisches, nicht nur etwas Ungefähres, sondern auch etwas Unbestimmtes in sich trage.

Diese Stimmen sind nach den letzten Veröffentlichungen Ernst Jüngers mehr und mehr verklungen. Vorausschauend schrieb Winkler schon 1937: "Jünger wird eines Tages dahin kommen, einen bestimmten Inhalt zu setzen, auf den hin er alles bezieht, und wird an ihn glauben, unverbrüchlich und fest. Damit ist der circulus vitiosus wieder geschlossen ... am Ende des Denkens muß Jünger wieder den Glauben verheißen."

In den Jahren unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg ist über Jünger kaum ein sachliches Wort gefallen; vielmehr bemühten sich viele, ihn der Schuld an den vergangenen zwölf Jahren zu zeihen. Was man jedoch vielleicht befürchten konnte: daß die Jünger-Gemeinde in einem mehr durch Enthusiasmus als durch Sachlichkeit bestimmten Maße gegen die Behandlung ihres Meisters protestieren würde und daß eine gewissermaßen blinde Verehrung die neuen Versuche zur Analyse ebenso verhindern würde wie kurz zuvor die gehässigen Angriffe, das ist nicht eingetreten. Es ist etwas viel Erfreulicheres erfolgt: es sind zahlreiche sehr ernst zu nehmende Versuche zu sehen, die sich mit einer abwägenden Klärung der durch Jünger aufgeworfenen Probleme bemühen.

Dies zeigt am deutlichsten Kerl O. Paetel (1) auf, ein nach vielen Irrfahrten in den letzten fünfzehn Jahren jetzt in New York ansässiger Deutscher, ein Journalist und Schriftsteller, der vor 1933 aktiv in der Jugendbewegung gestanden hat und eine Art nationalrevolutionärer Sozialist gewesen ist. Er schreibt in einer "persönlichen Vorbemerkung" zu seinem vor kurzem in Deutschland erschienenen Buche über Ernst Jünger:"Ich bin kein Jünger-Nachbeter: sofort nach Erscheinen des "Arbeiter" habe ich öffentlich meine Bedenken gegen bestimmte Konsequenzen des Buches angemeldet. Schon frühzeitig habe ich mich gegen die nicht nach Ideen fragende Bejahung des "Krieges an sich" gewandt. Als Sozialist identifiziere ich mich durchaus nicht mit jedem "aristokratischen" Apercu. Doch was macht das schon aus? . . . Was heute verbindet, sind nicht Ansichten. Ansichten sind billig geworden. Was zählt, sind Gesinnungen, s?nd die Unwägbarkeiten der Haltung. Was Gewicht hat, ist die Intensität, mit der den Fragen unserer Zeit zu Leibe gegangen wird. Und hier muß ein für allemal ausgesprochen werden, daß es neben Stefan George keinen anderen deutschen Dichter gibt, der ein so einzigartiges "Ausstrahlungsphänomen" war, wie es Ernst Jünger war und noch immer ist." Diese Klarheit und Offenheit durchzieht das ganze Buch Paetels.

"Jüngers Verdienst", so schreibt Carl Paetel, "besteht darin, daß er gezeigt hat, daß all die großen Systeme und Konstruktionen, die um die planetarische Herrschaft ringen, in derselben Sackgasse münden. Er zeigt, wo der Weg des selbstherrlichen Menschen endet. Dieses Ende aber muß gesehen werden, bevor an eine Umkehr zu denken ist. Zum zweiten aber sehe ich Jüngers unverlierbare Leistung darin, daß er dem modernen Menschen die Dämonie der Welt wieder sichtbar gemacht hat. Zu dieser Entdeckung bedurfte es eines solchen Einbruchs dämonischer Kräfte in die umhegten Bezirke menschlicher Sicherheit, wie er im Weltkrieg erfolgte ... hier würde der Blick geschärft für Wirklichkeiten, die dem abendländischen Menschen (vor allem, meinen wir, des neunzehnten Jahrhunderts) schon fast zu Schemen verblaßt waren."

Daß von dem in letzter Zeit vielfach hervorgetretenen Schriftsteller Gerhard Nebel (2) das Thema Jünger einmal abgehandelt werden würde, wundert niemanden, der in seinen Büchern aufmerksam gelesen hat. Eine erste Schau hat Nebel in einem Vortrag "Ernst Jünger und das Schicksal des Menschen" aufgezeigt, während eine zweite Schrift "Über die Metaphysik Ernst Jüngers" schon angekündigt ist.

Nebel hat In seinem "Italienischen Tagebuch" einmal gesagt: "Jaspers ist offen, aber leer, bereit zum Bild, aber bildlos, hoffend, aber der Gegenwart ermangelnd, Ernst Jünger steht jenseits dieser Schwelle, sofern er die Kraft zum Mythos hat, die Jaspers vielleicht noch einmal gewinnt" Gerhard Nebel also, ist unter den sich ernsthaft um Jünger Bemühenden der Verehrendste. In seiner Schrift geht er auf die jüngst herausgekommenen "Strahlungen" Ernst Jüngers besonders ein, und naturgemäß auch auf die Frage, inwieweit Jüngers neuer Glaube definiert werden, kann.

Der Glaube, der hier geschieht, ist freilich nicht von der traditionellen Art, als ein begnadetes und gehorsames Hinnehmen eines Bestandes geistiger Symbole und Sätze, der gleichsam en bloc angenommen oder abgelehnt werden muß. Jünger zieht nur diejenigen Momente in sich hinein, die für ihn dieselbe Art mythischer Gewißheit haben, wie die Gestalten des gefüllten Diesseits. Eine Bekehrung im Sinne eines Zusammenbruchs, wie sie Paulus und Augustin widerfahren ist, hat nicht stattgefunden und wird wohl auch nicht stattfinden. Jüngers Glaube ist von auswählendem, von langsam hineinwachsendem Charakter, und ich kann mir denken, daß die Theologen den christlichen Charakter dieser Einbrüche in die Transzendenz bestreiten.

Das Motiv der Wandlung, ja der Umkehrung und Bekehrung steht Im Vordergrund eines neuen Buches des Soziologen Alfred von Martin (3), das den Untertitel trägt:"Ernst Jüngers Weg durch die Krise". Was der Verfasser mit diesem Buche sagen will, bezieht sich auf Ernst Jünger nur insofern, als er in ihm einen der typischen Repräsentanten der jungen geistigen Generation sieht. "In Wesen und Wirken Jüngers versinnbildlicht sich ein gut Teil dessen, was unsere Zeit kennzeichnet: ein Abgleiten vom Humanen, ihre Neigung zum Rückfallen ins Irrationale und Dämonische doch zugleich, immerhin, auch was in ihr an Möglichkeiten ist, sich wieder zurechtzufinden."

Jünger ist wieder eingebogen in die zweitausendjährige geistige Überlieferung des Abendlandes, von der er (mit Nietzsche) sich so radikal losgerissen hatte", sagt Martin aber hatte er wirklich? Verkennt nicht Martin vor allem die Rolle, die das Barbarische bei Jünger gespielt hat? Stempelt er ihn nicht allzu leichtfertig zum Nihilisten, wo es sich vermutlich wenn wir schon mit solchen Begriffen fechten um einen Neomacchiavellismus gehandelt hat, wie ihn Burnham kürzlich so treffend definierte? Wenn Jünger die christlichen Märtyrer schon vor zwanzig Jahren beneidet hat, aber nicht um der bezwingenden Wahrheit willen, die ihnen den Weg wies, sondern allein um der ihnen innewohnenden Kraft, für diese Wahrheit zu sterben, indem er also nicht den Glauben beneidete, sondern die Stärke, so war das ein wahrscheinlich sehr bewußtes Zurückziehen auf die Haltung ohne Ansehen der Anschauung.

Martin hat Jünger sozusagen In einen Teil 1 und einen Teil 2 eingeteilt, in einen mit der Tradition brechenden und in einen zu der Tradition zurückfindenden Jünger. Es müßte interessant sein, zu erfahren. wie Jünger selbst zu dieser Theorie steht. Wir können uns der Ansicht Martins nicht in vollem Umfang anschließen. Wir glauben, Jünger müsse als Ganzes gesehen werden. Wir glauben, daß die "totale Mobilmachung" genau so für die "Strahlungen" und für den "Frieden" notwendig waren, daß sie mit einer starken Nabelschnur den ersten schöpferischen Versuchen Jüngers verbunden bleiben müssen, um ihre so eigentümliche, und eben ihre zeitrepräsentative Kraft zu bewahren.

1) Kerl O. Paetel, "Ernst Jünger. Weg und Wirkung" Verlag Ernst Klett, Stuttgart

2) Gerhard Nebel, "Ernst Jünger und das Schicksal des Menschen" Mordes Verlag, Wuppertal

3) Alfred von Martin, "Der Heroische Nihilismus und seine Überwindung", Scherpe Verlag, Krefeld

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