Tägliche Rundschau 28.07.1946


Wolfgang Harich
Und noch einmal: Ernst Jünger

Seit Kronprinz Wilhelm und Leni Riefenstahl im vorigen Jahr mit gutem Beispiel vorangingen, gehört es bei den Stars des Dritten Reiches und seiner diversen Vorepochen zum guten Ton, ausländischen Journalisten Interviews zu gewähren. Wie vor Monaten die Züricher "Weltwoche" berichtete in Heft 5 der "Neuen Auslese" und In Nr. 72 des Berliner "Kurier"' wurde es dann nachgedruckt, stellte sich auch Ernst Jünger dem gezückten Bleistift eines französischen Reporters namens D. Raguenet, der ihn in Kirchhorst, zwischen Hannover und Celle, "nicht als Untersuchungsrichter, sondern als bescheidener Gast" aufsuchte. Das Interview erschien in der Wochenzeitung Terre de hommes", zugleich kommentiert, in einer Würdigung Jüngers von Jean Schlumberger.

In dem Artikel Schlumbergers heißt es, Jünger sei zwar geistiger Schrittmacher des Dritten Reiches, "das seinen ästhetischen Visionen die ins Bestialische mündende Verwirklichung bescherte", aber die Medaille habe auch eine Kehrseite seine erwiesene Abneigung gegen den Nationalsozialismus, seine mißtrauische Ablehnung von Begünstigungen, die ihm die braunen Machthaber zukommen lassen, wollten, seine Beteiligung an der Widerstandsverschwörung Niekischs und die "absichtliche Sorgfalt", mit der er in seinem Kriegstagebuch "Gärten und Straßen" die Nennung des Namens Hitler vermieden habe usw.

Ein interessanter Fall. Wie äußert sich dieser "Schrittmacher des Dritten Reiches" mit der "erwies-enen Abneigung gegen den Nationalsozialismus" zu der politischen Ambivalenz seines eigenen Charakters? Um es gleich zu sagen: Im Gegensatz zu Kronprinz Wilhelm und Leni Riefenstahl, die gern die Gelegenheit zu weitschweifigen Plädoyers ergriffen, weiß Jünger zu diesem Thema nichts vorzubringen. Statt dessen gibt er aber seine Ansichten über die politischen Probleme der jüngsten Vergangenheit und unmittelbaren Gegenwart zum besten. Seine Ansichten lauten wie folgt: Erstens sei der Nationalsozialismus in Deutschland sehr wohl der Ausdruck des Volkes gewesen, zweitens sei zur Aufrichtung der Demokratie in diesem Lande nicht nur ein Unterhaus, sondern auch ein Oberhaus zu schaffen, drittens habe die Aristokratie allein während des Krieges die Raserei der Nazis mäßigen können, nur sei viertens diese Aristokratie leider zu hochgezüchtet, "nicht barbarisch genug und auch nicht mehr stark genug gewesen, um dem Hitlerismus bis in seine letzten Konsequenzen zu folgen".

Da haben wir's also. Die Enteignung der Junker war natürlich das Dümmste, was wir tun konnten! Wenn wir die Demokratie sichern wollen, so müssen wir sie gegen das Volk, dessen "Ausdruck" ja der Nationalsozialismus ist, verteidigen lassen durch ein Oberhaus barbarischer Aristokraten, die stark genug sind, dem Hitlerismus bis seine letzten Konsequenzen zu folgen. Dies, die originellste und neueste Definition der Demokratie, verkündet von Ernst Jünger, mitgeteilt durch einen Journalisten aus dem Lande der größten bürgerlich-demokratischen Revolution der Weltgeschichte.

Wenige Wochen, nachdem ich vom dieser blamablen Angelegenheit Kenntnis genommen hatte, drückte mir jemand ein hektographiertes Exemplar von Jüngers neuester Schrift "Der Friede" in die Hand. Ich las und staunte: Hier wurde die deutsche Verantwortung für Krieg und Nationalsozialismus gründlich in einer mysteriösen Weltschuld versenkt, hier wurde mit unbekümmerter Frechheit ein Friede der absoluten Gleichberechtigung von Feind und Freund gefordert, ein Friede aus purer Menschlichkeit, ohne Gebietsabtretungen und Wieder­gutmachungen, hier wurde eine wüste Hetze gegen den Hauptleidtragenden des Krieges, die Sowjetunion, getrieben, der Bolschewismus bedenkenlos mit dein Nationalsozialismus identifiziert, hier wurde der Krieg als ein erhebendes Ereignis ohnegleichen gefeiert und schließlich den westlichen Alliierten ein unverblümtes Westblock-Angebot gemacht. Ich staunte nicht, weil ich von Jünger etwas anderes erwartet hätte als diese famose Mischung von Frontsoldaten Kameraderie, Verherrlichung des Krieges, verschwommenem Kosmopolitismus und versteckter neuer Kriegsvorbereitung. Ich staunte, weil die Verbreitung einer solchen Schrift im Jahre 1946 mit einem auf die Gegenwartsituation bezogenen Vorwort des Verfassers möglich war. Aber ich sollte in den kommenden Monaten aus dem Staunen nicht mehr herauskommen!

In Nummer 85 des "Kurier" veröffentlichte ich einen Artikel über Jünger, in dem ich Zitate aus dessen früheren Schriften ("In. Stahlgewittern", "Das Wäldchen 125", "Totale Mobilmachung") häufte und mich mit der Ansicht Jüngers vom Frieden polemisch auseinandersetzte. Die Folge waren die üblichen anonymen Briefe mit den üblichen Drohungen. Einige der Verfasser dieser sauberen Entgegnungen beherrschten Jüngers Stil oder waren davon beherrscht. Der eine schrieb: "Das Schwert ist schon geschmiedet, das Sie dereinst usw. usw." Die Jünger des Jünger treiben Werwolf eben nur mit dem Schwert.

Sogar meine Freunde griffen, zwar nicht zum Schwert, aber immerhin zur Schreibmaschine und schrieben mir Offene Briefe. Der Offene Brief meines sonst so verehrten Kollegen Karl Korn wurde denn auch, in Nr. 95 des "Kurier" abgedruckt. Er schrieb, Jünger ist existentiell eine Gestalt des Uebergangs. Als er aus dem ersten Weltkrieg nach Hause kam, da brachte er das Grauen und eine Raserei gegen spätliberale Illusionen, die im Graben zerplatzt waren, mit. Dazu aber brachte er als einziges ideelles Gut das Erlebnis mit, daß er standgehalten hatte und daß er sich einem Orden der vom Krieg gleichsam Ausgeglühten zugehörig wußte. Dieser Orden hatte als seine Ehre die Ritterlichkeit der reinen moralischen Anstrengung inmitten des Grauens und der Sinnlosigkeit erneut statuiert. Von dieser Erinnerung kommt auch der späte Jünger nicht ganz los ... Wir wollen nicht vergessen, daß es das Leid all der Mütter, Väter, Frauen, Bräute und Schwestern gibt, die ihre toten Soldaten beweinen und denen große "Umsonst" das schwierigste wäre, wenn nicht ein Jünger ein so menschliches Wort fände wie dies, daß "diese Toten daß Korn sein werden, das Frucht tragen soll für eine bessere Welt.

Man muß nun wissen, daß Korn zu den wenigen deutschen Journalisten gehört, die in ihren Artikeln während aller vergangenen Jahre niemals dem Nazigeist irgendwelche Konzessionen eingeräumt haben. Wenn ein solcher Mann es fertig bringt, den Militaristen Jünger zu verteidigen, so steckt etwas dahinter. In diesem Fall handelt es sich um einen ästhetischen Bewunderer des Stilisten Jünger. Daß man durch allzuviel Jünger Lektüre seinen eigenen Stil nur verderben kann, beweisen Worte wie "existentiell", "Gestalt", "Erlebnis als ideelles Gut", "Orden", "Ritterlichkeit der moralischen Anstrengung, die trotz ihrer pathetischen Gesteltztheit Herrn Korn auf einmal hemmungsloß übers Farbband fließen. Die Geschmacklosigkeit, mit der hier den Bräuten und Müttern mit einem Trostwort Jüngers der erkenntnisschärfende Schmerz über die Sinnlosigkeit des Todes ihrer Soldaten ausgeredet werden soll, braucht nicht erst analysiert zu werden. Das Bild von den Toten, die "das Korn" sein werden man stelle es sich plastisch vor stammt hoffentlich nicht von Korn, sondern von Jünger!

Ich habe damals darauf verzichtet, Korns Offenen Brief direkt zu beantworten. Statt dessen habe ich mir die Mühe gemacht, den Jüngerschen Nihilismus und dessen verschiedene Modifikationen vom "Wäldchen 125" bis zum "Frieden" einmal mit Bleistift und Redaktionsschere zu sezieren (in Heft 6 des "Aufbau"). Die literarische Obduktion. ergab die zum Himmel stinkende innere Verfaulung eines ins Bestialische entarteten Intellekts. Das Ausglühen dieses schwärenden Ansteckungsherdes aus dem deutschen Geistesleben der Gegenwart dürfte nach meiner Abhandlung über Jünger als hygienische Notwendigkeit nicht mehr bestreitbar sein. Trotzdem trat auch jetzt wieder ein Jünger des Jünger in die Arena der geistigen Auseinandersetzung. Der Mann heißt Dieter Bassermann, sein Artikel wurde von Wolfgang Goetz in Nr. 2 seiner "Berliner Hefte" des Abdrucks für wert befunden. Herr Bassermann geht auf meine Argumente gegen Jünger überhaupt nicht ein. Er schwärmt von Jüngers "temperamentvoller Geistigkeit"", von der Mächtigkeit seines Gestaltungsvermögens". Wir lesen: Wie menschlich, wie einfach, wie demütig ist dieser Blick geworden; wie hat dieser einst so hybride Geist ... sich dem Suchen ergeben, dem Lauschen auf das Gesetz des Lebendigen!" "Ist er mit Marmorklippen und Gärten und Straßen einer der erfolgreichsten Autoren in dem geheimen, kriegsgegnerischen, antifaschisitischen Deutschland nicht doch bei all seinen Tausenden von Lesern ein nahezu ungekannter Mensch?"

Worin besteht denn nun der "Antifaschismus" des Herrn Jünger? Bassermann führt ein Zitat an: "In seinem seltsam friedlichen Kriegstagebuch steht ein scheinbar beiläufiger Satz: "Dann zog ich mich an und las am offenen Fenster den 73. Psalm." Ist das alles? Ja, das ist alles, und dieser eine einzige Satz macht tausendfältig wieder gut, was Jünger an Apo­theosen des Krieges, der Rechtlosigkeit, der Gewalt und der Grausamkeit sonst noch zustande brachte. Man möchte es fast nicht glauben, aber wie leicht haben es doch die Mordideologen, wenn jedes ihrer Worte, das nicht gerade nach Blut schreit, von den Aestheten freudig umwedelt wird. Ein Jünger kann in bestialischen Visionen geschwelgt, kann jahrelang und auf vielen hundert Seiten den geilen Revanchegedanken gegen den Frieden aufgepeitscht haben er braucht nur einmal in einem winzigen Sätzchen eine versteckte Andeutung zu machen, nur einmal flüchtig einen Vers zu nennen und schon ist ein Bassermann zur Hand, der das dann als humanitäre Gesinnung plakatiert. Herr Korn will mit Jünger die Mütter und Bräute trösten. Herr Bassermann fordert für Jünger, es müsse hinter seinem transparenten Werk "Schicksal erfahren, mitgelebt, mitgelitten" werden, es müsse "dem Fragwürdigen fragend nachgegangen werden auf seinem Weg durch die mühselige Not einer Wesensumformung vom innersten Grunde her".

Herr Korn will, daß "vor der Indizierung eines Schriftstellers vom Range Jüngers diskutiert" werde, Herr Bassermann hofft, daß der Tag kommen wird, an dem Ernst Jünger wieder zu uns sprechen darf. (Dabei spricht er ja schon zu uns und wird sogar interviewt und läßt seine üble Schrift über den "Frieden" im Lande kursieren!) Was wollen die Jünger Jünger eigentlich? Als Thomas Mann von den Willensvollstreckern Jüngers das deutsche Bürgerrecht abgesprochen wurde, wurde da dem gar nicht fragwürdigen größten Humanisten der deutschen Gegenwart "fragend nachgegangen auf seinem Weg durch die mühselige Not einer Wesensumformung vom innersten Grunde her"? Haben damals Herr Korn oder Herr Bassermann für Thomas Mann beansprucht, daß vor seiner Indizierung diskutiert werde? Ich kann mich dessen jedenfalls nicht entsinnen.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit den vielen Korns und Bassermännern nur erklären, warum ich es für nötig hielt, den "Fall Jünger" einmal aufzurollen: Der Nationalsozialismus, um dessen Ueberwindung es mir geht, hat aus einem reichen Reservoir nihilistischer Ideologien schöpfen können, von denen ich hier sonst nur noch die Irrlehren Spenglers, Haushofers, Klages, Möller van den Brucks erwähnen möchte. Ernst Jünger hat sich von den Nazis pikiert distanziert, weil deren schlechtes Benehmen seinem Aristokratismus nicht behagte. Auf diese Weise hat sich Jüngers Nihilismus verpuppt, hat das Dritte Reich glänzend überstanden und wird uns nun als purer Antifaschismus serviert. Daß aber Jünger am offenen Fenster den 73. Psalm zu lesen pflegte und diese Tatsache sogar zu veröffentlichen wagte, kann ebensowenig für die Bewertung seines Wesens geltend gemacht werden, wie es für die Geopolitik spricht, daß Karl Haushofer Hitler das Unbehelligtsein der Japaner von den nazistischen Rassegesetzen durchsetzte. Auch Spengler würde, wenn er noch lebte, jetzt zu seiner Rechtfertigung vorbringen, er habe durch die Definition des Cäsarismus vor Hitler warnen wollen. Dies alles darf uns nicht darin beirren, diese finsteren Dilettanten und Fäulnisheroen als geistige Wegbereiter der schändlichsten Epoche unserer Geschichte zu brandmarken. Zeigen wir uns aus ästhetischen Rücksichten als wehrlos, lassen wir uns in unseren politischen Entscheidungen von einem verblasenen Stilempfinden korrumpieren, so kann es leicht geschehen, daß uns das von Jünger propagierte Oberhaus der barbarischen Aristokraten von der geistigen Diskussion fortlenkt und aufs Schlachtfeld scheucht.

Ich brauche nur hinzuzufügen, daß vor einigen Wochen in Marburg an der Lahn eine Geheimdruckerei von der Amerikanischen Militärregierung ausgehoben wurde, in der von einem Bannführer der früheren Hitler-Jugend Jüngers Schrift "Der Friede" massenhaft gedruckt wurde. Vielleicht wird den Korns und Bassermännern nun klar, daß es sich bei Jünger nicht um einen Schrittmacher, sondern um einen recht aktiven Hinterbliebenen des "Dritten Reiches" handelt.

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