Nachschrift eines LSD Rausches

 

Ich sitze hier vor Bach, und noch immer ist Musik ein flaches Linienspiel auf Augenhöhe, Horizontgewebe, die Blicke gehen drüber und drunter weg, drüber und drunter ist der Raum ein einziger Blindfleck. Er hat sich geöffnet; was jetzt in ihm zu sehen und zu hören ist ein Bündel Striche ist's, die »höchsten« und »tiefsten« Harmonien krabbeln wie die bewegte eindimensionale Linie eines Elektrokardiogramms auf unabsehbar weißem Papier. Dabei ist es schon fast eine Woche her, das Protokoll liegt vor mir und besagt beinah nichts. Wie wir die Dinge auf eine handliche Sichtfläche reduzieren!

Mescalin vor zwei Monaten Gestirne hätte man sich demnach als plastische Violenz vorzustellen, eine starre, massive Lichtexplosion. Aber Tonius sagte, jener Versuch sei mißglückt, und zwar unterschieden sich Visionen von Halluzinationen dadurch, daß man dann nicht mehr zuschaue wie im Kino (»Kunstlichtspiel« nannte man das früher), sondern einbezogen sei, mitverwandelt werde ; darum, die im Rauschgift Inspiration suchten, hätten sich in sich selbst verfangen: Sie hielten Metapsyche für Metaphysik, das Überkonkrete wurde ihnen das Absolute. Darüber war ich mir klar. Daß nämlich Chemie keinen Ausblick auf das Unendliche, keine Vision geben konnte. Und da Tonius als Psychiater ja die medizinische Erfahrung hatte und sachgemäß protokollieren würde, wollte ich noch eine Probe machen, ob die Wirklichkeit skulptierter ist als wir sie erleben. Tonius (die Spitznamen machen die Dauer der Schulbank hörbar!) sog in einem langen Röhrchen 70 gamma LSD aus der Ampulle. Man kommt sich vor wie ein Schlachtopfer. Enthält eine chemische Formel die Quintessenz eines Stoffes, und enthält diese in Wasser aufgelöste Quintessenz eines Stoffes seinen Ausdruck? Und was ist das? Die Kräfte eines Kaktus, eines Pilzes befreien sich im menschlichen Gewebe, multiplizieren sich mit den Reflexen des Gefühlsspiegels, durchdringen den menschlichen Organismus in offensichtlicher Suche ; wonach?

 Ich hatte ein Gefühl nach Schierling, als ich es trank. Es schmeckte nach nichts. Ich saß in einem blauen Sessel, der jedem Wunsch nach An; und Rücklehnung nachgab, Tonius setzte sich gegenüber an einen niedrigen, nüchternen Teetisch vor die Ecke. Sie war unten flankiert von Bücherregalen; sonst war nur eine alte, bunte Landkarte auf den grauen Tapeten mit weißen Punkten und vertikal gewellten Linien.

Ich lauerte, aber nichts geschah. Ein Zucken hinterm Ohr, dann im Arm, eine heftige Schwäche in den Händen, dann nichts mehr. Ich nahm ein Buch um nicht nervös zu worden. Aphorismen von Lee: »Freiheit kann man nicht simulieren.« Andere waren plumper: »Wir erleben eine merkwürdige Erscheinung: Gestammel als Verständigung zwischen Menschen.« Aber hier: »Werde mit dir nicht zu vertraulich ; gut, nicht?« »ja«, sagte Tonius, und wir nahmen unser Gespräch vom Nachmittag wieder auf: Teilhards Entwicklungstheorie stand nicht nur gegen das entropische Gesetz, sie war bei aller verführerischen Entschlüsselung und ideologischen Handlichkeit einfach naiv, rief Tonius, man kann in Philosophie so wenig wie in Wissenschaft 2500 Jahre Erkenntnisfragen großmütig beiseiteschieben ;was ist denn mit dem Ding an sich? Wir sehen doch das Ding nur, wie es uns erscheint, ob es wirklich unserer Geistesverfassung adäquat ist, ließe sich nur außerhalb ; plötzlich war ich »weg«, in jähen Schwindelräuschen setzten sich die Lähmungen frei, die ich in allen Gliedern unterdrückt hatte, ich kannte dieses Nervenziehen von der Polyneuritis her, dagegen war's nur ein leichtes Aufflammen, ich gab zu Protokoll: »Entziehungsschmerzen«. Komische Definition. Aber der Lachzwang. Ich konnte ihn nicht mehr niederhalten. Immer wieder platzte er heraus, ich genierte mich an seiner Stelle. Und wieder diese Schwäche in den Händen, ich hob den Finger, die Zigarette abzuklopfen, und hatte einen langen, mittelalterlichen Zeigefinger, schmal und hoch und bedeutend, wie immer ich ihn auch bewegte, er spielte den warnenden Heiligenfinger. Tonius sagte, ich sollte die Augen schließen. Meinetwegen, Nichts.

Als ich sie wieder öffnete, sah ich mein Hemd auf mich zukommen. Der Nacken zerrte, die leiseste Anstrengung machte elend, ich sprach verwaschen, mundfaul. Völlig lustlos, den Kopf zurückgelehnt, ich hielt die Augen offen, sonst kam Schwindel. In den Zähnen ein Schmerz, als hätte ich auf Süßes gebissen, und ein Zittern schüttelte mich von innen wie ein Glas. Die Lippen wurden taub wie beim Zahnarzt, man fühlte die »Hasenscharte«, den Nervenschnitt in der Mitte des Gebisses, man spürt seinen eigenen Totenkopf in die Haut gespannt, besonders an den Augenknochen. Die Hand gehörte mir nicht mehr; eine sehr ferne Schwäche meldete sich kribbelnd, aber der Arm leitete sie nicht weiter, sie war allein, die Schwäche wurde ein Ding, draußen. Ich fülle nur den kleinen Umkreis bis zum Tisch, und fülle ihn nur da, wo keine Gegenstände sind; ganz als wollte ich mich in einem fremden Zimmer auf geistige Arbeit konzentrieren. Tonius will es genau wissen, ich ziehe mit den Händen den Halbkreis um mich: in diesem freien Halbrund fühle ich, dahinter liegt alles in Glas, rieselnd, undeutlich; und Tonius' Antwort hallt, der Raum ist vollgestopft und hallt doch gewaltig in meiner Ausbuchtung, ich höre mich in diesem Echowinkel gegen Schallmauern sprechen. Über uns gibt's ausgerechnet heute eine Party, immer wieder wird der Plattenspieler angesetzt und rutscht mit einem Kratzer ab (gröhlende Stimmen draußen und Autos, steht im Protokoll).

Wir traten auf den Balkon, es war finster. Tonius ließ mich bald hierhin, bald dahin sehen, es war zu komisch. Ich sah ganz bieder. Aber ich hörte gut, hörte röhrenartig in ein Geräusch hinein, akustisch so, wie ich vorhin zum ersten Mal in meinem Leben die Lampe in ihrem Plastikschalter gespiegelt sah. Bei der Nervenentzündung vor einem Jahr hörte ich Musik so plastisch, daß sich die Raumtiefen in klaren Vorder;, Mit; und Hintergründen, Kanten und weiten Abstürzen modellierten, jetzt hörte ich immer ein ganzes Geräusch voll heraus, und die großen Dinge, Wald und Vorhang, nicht fixierbar. Versuchte ich's, tat's einen Ruck auf mich zu. Inge kam herein und wollte sich den Finger verbinden lassen. »Na, was ist?« »Der sieht nichts, der Hund.« Anderthalb Stunden, und nichts. Was sollte ich auch sehen? jedesmal, wenn man glaubt, eine Bewegung zu ertappen, ist alles steif und gewöhnlich ; es lauert unter dem Radiotisch heraus, und eh es noch erwischt wird, ist's in seine angestammte Form zurückgehuscht.

Tonius verband, und kaum hatte ich mich wieder in den Sessel gesetzt, überfiel mich Brechreiz und ein Übel, daß mir zu grauen anfing, Ich lag auf dem Narkosetisch die letzten Zahlen aufzusagen, dieses Sausen wollte »das Ganze«, ich kämpfte mit dem Kopf allein über dem Körperschwund in Saus und Braus und sah ;letztes Bild ; die Leukoplastrolle auf meiner Nase abziehen. jäh fällt die Ohnmacht in einem fürchterlichen Lachanfall zusammen, ich halte den Mund fest und er platzt aus den Augennähten, das Taschentuch wird quietschnaß, Heulen wie Überkochen, und ich komme und komme vom Hochdruck dieser Wasserschlagader einfach nicht herunter. »Geschieht dir recht«, sagt Inge. Das gab mir einen Ruck. Dabei aber wurde mehr gelöst ; als könnte ich nichts mehr zusammenziehen; jeder Muskel war mir so gleichgültig wie ich ihm.

Inge ging, ich gab Tonius meinen Zustand zu Protokoll ; so sah also ein Karikaturist! Mit einem Blick war er Lakai. Korrekt. Der nächste Blick traf ihn. kleiner Büroangestellter. Winkeladvokat; kalter Vertrauensflößer. Und jetzt verlottert er, ein russischer Quartalsäufer, vor meinen Augen schrumpft sein Kopf, verhutzelte Kopfjäger;Trophäe auf diesen schrankartigen Schultern ein Winterapfel, Stilleben, und hinter ihm Franz Marc. Nein, es war die Amerikakarte. Aber der Marc in Duisdorf, wo ich ihn vor zehn Jahren kennenlernte, war auch rot, nicht? ja, in der Vorstellung »Tonius« war immer ein roter Marc im Hintergrund inbegriffen gewesen.

Die Schatten des Weißdorns auf der Tür traten jetzt stark hervor, vor und zurück, wie ein Lichtbild auf dem Projektionsschirrn eingestellt wird und die richtige Schärfe nicht findet. Wenn es vortritt, ist es ein Adler, wenn es zurückweicht, eine alpenländische Teufelsmaske. Wirkte LSD also bloß wie Marihuana? Strukturen, die sonst in der Stofflichkeit untertauchen, schälen sich scharf heraus. Und wieder dies Gefühl, auf etwas ganz Süßes gebissen zu haben, und wieder fallen schwere Massen von Schwindel in mich hinein, im Flur schnappt eine Tür, das »Klick« ist auf den spiegelnden Messing am Plattenspieler gesprungen. Draußen tuten Schiffe. Nebel.

Es wogt. Auf ; ab, auf ;

das Kinn der Bug, oben grün und unten weiß, die Archimedesschraube windet sich durch die Kehle, im Adamsapfel dreht sich das Schaufelrad, ich versuche es Tonius mit Händen zu zeigen, da sind plötzlich zwei Bewegungen: die eine macht die Hand, ist die Hand selbst. Die andere hat die Hand gemacht. Und diese, die schon geschehen ist, aber noch ist, will die Hand einholen. Jedesmal, wenn ich die Hand in den Raum hinauswerfe, wo sie langsam niedergeht, will die gewesene Bewegung wieder in die Hand hineingleiten ; sie schafft's! Und gleitet vorne aus der Hand weit hinaus, zieht sie nach sich und steigt drüben auf, entzieht sich mir ; da knallt eine Tür hinein, ich höre den langsamen Prozeß des Zuschlagens, das Grapsen, das Scharren, das Zusammenkratzen immer rascher auf eine Explosion zu ; und im Augenwinkel rollt in derselben Bewegung der Nagel über die Wand auf seinen dunklen, kleinen Ausgangspunkt zurück.

Ich schaue voll hin: nichts. Baudelaire hat seine correspondances also auch nicht erfunden, sondern gesehen. Dünne Schatten flackern übers Lid herein, unten greift es um sich, hascht, huscht, ich fange nichts. Alles geduckt und verhohlen, es spürt den Blick. Es ist immer da, wo man nicht aufpaßt. Es überschleicht mich von überall. Schattendünen kommen aus den Dingen. Dicke Wollfasern von Licht ziehen durchs Zimmer. Ich soll die Augen wieder schließen; sehe aber nur ein Reklameschild der SNCF unter welken Trauerkränzen aus Taxus, belanglos, ich will's mit der Hand wegwischen, die Augen sind geschlossen, und doch ist jeder Finger innen und finster, jetzt sind es fünf Hände, die Finger fallen durcheinander, es sind Wachholder, nein, ihre Schatten, die umsinken ; wie soll man da Worte draufwerfen, wenn nichts umrissen und fest ist, alles nur schnell ; da ist irgend etwas umgebrochen worden, ein Streifen Ödland, nichts Konkretes mehr in dieser Umwälzung, graugrüne Untermassen und grell die Ränder, spalten sich üi gelbe und heiß violette Elektrizitätszeichen, das sticht, dieser Zickzack von Blitzhäkchen sticht in die Augen, ich schaue mich fest hinein, und die Blitzspermen rasen an mir vorbei, fahre in höchster Geschwindigkeit auf einer grauen Bahn, pflüge die Laserstrahlen auseinander, weg, Platz da, Platz

So grauslich amorph sieht also deine Seele aus. Dieser Morast übler Farben ist doch in mir. Betreten schaue ich Tonius an, er läßt sich aber nichts anmerken. Über ihm will der Lichtdruck seines Kopfes eine Aureole vortäuschen. Die Ecke, es macht Mühe, diesen schiefen Zusammenbruch aufzuhalten, indem man ihn anblickt. Das hohe Sirren im Zimmer, das macht es so totenstill.

Ich soll nochmals die Augen schließen. Und mir Vögel vorstellen. Ich sehe aber: eine Brücke. Grüngrau, schon wieder. jetzt kann ich ihren ganzen Bogen sehen ; daher die Brücke: Es ist ein Vogelschwung, wie ein Vogel im Flug, wollte ich sagen, nein, ein Flugbild, ach was ; hat Ketten von Wimpeln, Girlanden, und die Girlanden, ja, ja, das ist ein großes kreisendes Zirkuszelt der amerikanischen Armee aus der Vogelperspektive, erbsengrün ; es sind tatsächlich Girlanden, eine ganze Kirmes ; eine Lachmövenkolonie ist der Jahrmarkt von fern ; diese widerlichen Farben! Es mündet wieder ins gleiche Lodengrün, Braungrau, Gelbviolett, das schlägt aus Tonius' Köpfchen Zitterbilder, eins übers nächste, diese violettweißen Zeichen von Elektrizitätswerken, fitzen durch die Augen hindurch jede Zuckung, die ich unter Tausenden durch Anstarrung bändige, springt als Spindelblitz durch die Pupille ; eine Straße, daß man das beiseite fegt! ich wimmle sie ab ich fahre dazwischen ah jetzt komme ich auf Hochtouren rette mich rase kommt ein ganz langsames blauglänzendes Auto entgegen wackelt wie eine Ente zum Schreien komisch in der Kurve ein fettes Poltern Eisennetze fallen nieder diese rostigen vielen weißt du nicht die man so auf Bauplätzen diese Gitterraster für Zimmerdecken gehen über in Blitze unter der Brücke ist starkes Feuer die Äste knattern der Fluß geht in Flammen auf! Der Fluß brennt wie Haar   Schilf   Nadelwälder   Napalm, furchtbar Qualmgeschwür

der Fluß ist ein Schlot Explosion von Grau das tobt sich aus von unten Schlamm gegen die Umwälzung Grau in Grau patscht von oben ein haushoher Eisenkolben hinein erstickt in der Schlammtiefe der Tapfere aber es ist zu spät es geht in die Tiefe das Dröhnen löscht die Formen die Katastrophe der Materie viele Tiefen ; unter der Materie geht es in blaue Himmel hinunter auf eine Mosellandschaft an einer Doppelbrücke vorbei schachtartig unter der nächsten Tiefe tut sich wieder Klarheit Höhe auf eine nächste Erde und durch und es ist Nacht draußen in der Höhe unter uns und die Tiefen sind Fallhöhen auf Mäander mit roten und gelben Brücken drehen sich zu Magnesiumgestirnen diese wie heißen sie wie nennt man diese kreisenden Springbrunnen ; Rasensprenger! sie fangen wieder an mit den Blitzen eine Ballerina im Wirbel hochgedreht die Schweißflamme gegen ihre Kehle wie früher im tschechischen Ballett Laterna Magica und schwingt sich hinaus ein elastischer Eiffelturm in den Abgrund die Eisenkurven quirlen enger Belle Epoque im Riesengerüst strömender Windmühlenflügel illuminiertes Moulin Rouge inmitten der Riesenkonstruktion ist alles falltrunken da geht es hinunt – halt! ein Netz schnellt herauf metallisches Klicken durch die Maschinengestänge das sind ja wieder die verdammten Farben im Netz die Girlanden ich komme nicht mehr mit ; schließe die inneren Augen überspringe die Farben ; buntes Militär auf einer Veranda sind Grenadiere die trinken schnappen über in Seehunde auf dein Fluß ist aber eine Eisrevue – da! dreht sich zur Seite die abgleitende Eisfläche ist der Rücken von Haifischen an ihren endlosen Kehlen geht es in Marmortunnel man sieht sich an der Decke gespiegelt dahingleiten was machen die Leute da mit dem offenen Feuer in der Ecke da ist siehst du wieder die Haie die Formen waren die Flossen draußen die Rippen die Tunnelwand das Wasser paßt sich den Tunneln in glatten Biegungen an eine schräge Parade von photographierten Offizieren rettet sich auf einen endlosen Landesteg auf einen Walfisch der mit Marxbart langsam durch die schwarzen englischen Industriestädte fährt nasses Sonnenlicht auf dem Ruß den Poren

Ach so ist das. Das Lampenlicht fällt in den tränenden Augenwinkel, und genau so die Sonne auf die kohleschimmernde Landschaft. Tonius hat mich wohl angerufen. Ich kann kaum die Augen offenhalten. Irgend etwas, das durchbrochen ist, das ist mir klar. Ich kann es nicht halten, ich bin aus dem Gedächtnis!

Und bedroht. Ein Anschlag hinter mir. Majestätisch schwingt der Lehnstuhl zurück, weit und pechschwarz zurück: und das Kar gähnt. Hoch über den Ohren das Sirren, wenn die Stille bis zu Gehör kommt. Und das Licht ist eine längliche Vibration auf Augenhöhe, und das Zittern läuft unter dem Fußboden in einem dumpfen Rohr durch meine Ferse. Luftleer wird das Zimmer, der Raum wird abgesaugt. Das ist die Agonie, eingesperrt sein ohne Raum! Der Raum hält sich nur noch in den Wänden. Erbärmlich vorspringende Pappfassaden sitzen die Bücher vor dem kalten aussirrenden Loch, das einmal Raum war. Dünne Attrappen, das Schweigen wird drastisch. Das nährt sie, zieht sie groß, zusammengekauert reiten sie auf mich zu, der Stuhl wogt mich durchs Zimmer, über die gerittenen, geschehenen Wellen der Attacke. Nachhall, das ist eine heischende Stille. Ich bin eine Figur von Munch ; leere weiße Augenkreise, und die Dinge starren unverhohlen herein. Es wird ernst.

Das dauert an: das nichts geschieht. Mein Gott, ich habe mich auf die Leere eingelassen. Das also ist Leere. Und die Leere zieht wie im Hochgebirge in die hohe reißende Einsamkeit von Ecke Welcher Fanatismus die Leere zieht sich hier aus der Kehle zur Wetterecke Infernalische Leere! Ich bin ausgeliefert dem das nicht ist Ausrangiert ich bin überhaupt nicht da, ich werde nur noch verlangt! Ich bin nur noch: in Anspruch genommen von den Dingen angeherrscht vom raubbau: 'das ist alles ein ausgezehrter fluchtpunkt wo sich die wahrnahme der dinge zusammenzieht das zentrum ist nur weil darauf gezielt wird ich bin nicht ich hafte für im BANN.

ich bin nur noch ein bild von munch aber ich weiß nicht ob es existiert: eine lange leichenflamme ist das der schädel sitzt im papierenschwarzen zimmer aufgespießt auf ganz skandinavien das spitz und finster aus dem unanschaubar weißen meer ragt und die bücher die sich eben so klein machten als der raum verweste jetzt spielen sie sich groß auf! (lacht) da versteinern sie wieder siedender magnetberg alles fragt mich aus ich muß hin bin aber im anmarsch zu grunde gegangen schon eine wüste wäre erlösung was ist das für eine leere und ist unfühlbar! ich kämpfe gegen die herrische stille an jetzt verstehe ich diese ibsen und strindberg und munch an denen nie was dran war diese schneidende leere ohne erde ohne sprache das ständige sausen nach einem schwerthieb alles ist entschieden alles ist absolut das konkrete ist nur noch nicht endgültig ; ich war überhaupt noch nie einsam!

[Wir machen hier einen Schnitt, um die starke Fluktuation zwischen Leere und Fülle zu verkürzen. Dissoziation und Dysmorphopsie, untermischt mit Skepsis und beginnender Apophenie kennzeichnen das Bild. Die Versuchsperson wendet sich gegen das Vakuum den Dingen zu (»ich, muß etwas ansehen, sonst bleibe ich nicht konkret«). Die Bücher aber in den Galeeren der Regale rüsten zum Aufstand, es ist ihre Gelegenheit, sich endlich weiterzuentwickeln, nachdem sie in der Vorzeit ins Stocken geraten sind. Helle Momente der Reflexion in der Gefahr halten den Aufstand hin und lassen dadurch wieder Raum für die Gegenvorstellung, erst als Eislandschaft draußen, die das Zimmer zusammendrückt, dann als Fallen durch klare Polarhimmel. Im Moment, da die Versuchsperson sich als lächerlichen Riesen empfindet der die Bildräume beliebig dirigieren könnte, gewinnen die Dinge Dominanz.]

In diesem Augenblick sah ich den TISCH. Der stemmt sich mit den Beinen aus der Wetterecke vor war der nicht einmal ganz niedrig gewesen? bleckend schwarz, sein breitgeschwungenes Hinterteil mir vor die Nase, und die Spitzendecke darüber: das Maul. Die Streichholzschachtel und die Whiskyflasche sind in Wahrheit seine Augen ... überwachen mich ... der Stuhl weicht mit mir zurück ... blanke Todfeindschaft seit eh und je aussichtslos böse steißt sich scheel und breitbeinig auf den Geröllteppich der gibt auf allen Seiten nach ich kämpfe auf dem Stuhl gegen das satanische Ferngericht der Stuhl rutscht ins Gerölltal ich komme nicht mehr hoch jetzt ist der TISCH Alleinherrscher diese Hölle von Triumphhund ist nicht einmal zu einer Regung von Hohn fähig wie er auf dem bröckelnden Weltberg dasteht und die Tasse seine Krone na besten Dank! Du selbstbefriedigtes geistloses ungeschlachtes Vieh mit deinem Schmuck als Tasse Ichfresser in die Versenkung ich untergrab dich! ein Mammut dieser TISCH ein Moloch er verdreht mir die Worte im Mund langsam sackt er auf seinem Berg abwärts ha er ist zu schwer rutscht ab und wird davon nur größer jetzt springt im Abgrund hinter mir die große MAHLE an nein wie nannte man das die MAHLE zerkreist zermalmt was bis unten gerutscht ist die größten Steine die Knochen gleiten noch abwärts die Leiber sie überrumpelt alles zermörsert es knirscht ich rede dagegen ich rede aus Leibeskräften und es nützt gar nichts Der kann sich auch soviel Augen machen als er Lust hat! dabei weiß ich: es ist ein Cognacglas ein Buch ein Bleistift aber was hilft es zu wissen woraus die Augen sind sind sie ersteinmal Augen geworden? und hinter ihm steht sein Traum aus der Vorzeit wurde ins Dunkelgrüngrau der Bücher verschlagen und ist nun verschlagen es kommt an den Tag was er träumt die Hintergedanken sind eine Fabrik im rotgrauen Steinbruch da sirrt es nein hörst du das nicht in der Fabrik »Heim Tücke« werden alle alle eingestampft Und wieder geht unten die große MAHLE los ich lebe zwischen zwei Hinterhalten ich rapple mich los in höchster Angst kommt der Stuhl über den Berg ich habe gewonnen

Aber der TISCH gibt nicht nach ich muß reden reden wenn ich nicht rede rutsche ich ab reden gegen diese Beine sonst bist du drunter aber die Worte kommen nicht von selbst Erstaunlich daß man nur die Oberfläche sieht solang man für sich selbst lebt, als Mensch um damit fertig zu werden hält man die Wirklichkeit in zwei Dimensionen fest das wußte ich nicht daß man aus Erfahrungen der Vorzeit so handelt um nicht mehr von den Dingen versehrt zu werden

sehr heißt Wunde! Es ist unfaßlich das hat man für einen Tisch genommen   und ist ein TISCH! die porphyrbraune Reibfläche der Streichholzschachtel     das ist das Tor dahinunter

bestialisch! der Steinbruch in der Ecke und ich muß da hineinschauen es zieht mich auf die Abfahrt und dieses Schreien dieses Jammern dieses habsüchtige Knirschen die MAHLE im Rücken ich kann nicht umschauen das wäre heller Wahnsinn es geht abwärts mit mir und schrill weil ich mich wehre das ist der gewaltige Auspufftopf der MAHLE nur der Stuhl der mit mir untergeht und das Lampenviertel halten zu mir halten mich fest viehisch gähnende Tyrannis ich höre Tonius über das linke Ohr aber ich kann ihn im Tosen nicht verstehen ich muß einfach Widerrede halten da ruft Tonius ganz laut meinen Namen ich höre meinen Namen wie zwei Becken zusammenschlagen und nimmt die Streichholzschachtel auf der großen Bestie bleibt nichts übrig sie muß auf die Rückgabe einfach warten! Tonius stellt sich vor mich hin und will mir die Zigarette aufdrängen, ich bekomme den Blick vom Tisch los und die Tapete sinkt wie ein Schneesturm herein, ein großes »Ah!«, das nicht aus mir kommt, sie hat schon lang darauf gewartet.

[Beginn der langen Phase zunehmender simultaner Bildströme und Denkspuren, sowohl in­als gegeneinander. Die Versuchsperson erlebt sich als Tapete (»ich kann nicht schauen wie ich, will ich werde geschaut! Ich komme am der Tapete nicht wieder heraus, ich bin ihre Selbstschau«), gleichzeitig baut sich aus dem Schneesturm der Tapete das »Weltgerüst« aus Zahnrädern, Riesenlettern, Bücherpfeilern, Kränen usw. auf, wobei auch der Körper einbezogen ist (der Mund ist z. B. Metrogitter, das Gesicht ineinandergestufte Bahnhofstrottoire); ebenfalls gleichzeitig wird alles als Tapetenspiel empfunden, gegen das sich die Versuchsperson wehrt; der vierte Hauptstrang ist der Versuch zur Objektivierung, Versuch, den Kontakt zum protokollierenden Arzt aufrechtzuerhalten.

    Wir bringen als Ausschnitt den Mittelteil dieser Phase, die von der Versuchsperson als Höhepunkt und Versagen zugleich erlebt wird. Mit Rücksicht auf den Zeitschriftendruck wird sich hier auf den plakativen Versuch einer Untereinanderschreibung in gruppierten Riegen beschränkt; doch ist dies nur als eine Art Libretto zum mehrdimensionalen Lesen zu nehmen.]

 

Die Tapeten drängen

Da ist etwas. Ich

 

sich nur vor. Grießbrei, daß einem das Sehen vergeht. Die Tapeten spüre das.

Die Entscheidung fällt. Was ist, wenn ich die Drohung

 

auf mich nehmen! Nun kommt doch! Sie kommen bis ins Auge,

nehme? So komme ich nicht durch. Ich bin flüssig eingemauert

 

jetzt sind sie drin. Nur was ich anspreche, gewinnt Gestalt

und spüre es rächt. Die Tapeten verdicken sich wollen sich nicht

 

Aber sie suchen etwas was suchen sie in aller Hast klarzumachen?

durchschauen lassen ungefaßte Gedanken der Dinge suchen nach Ge-

 

Was ist es? Bedeutet dir das was;? alles schließt sich jäh zur

dächtnis    Tonius' fordernde Stimme plötzlich steinerne Reklame

 

Industriefassade zurück. Aber sie ist heller, sie beginnt sich zu

lettern jetzt beginnen große orange Bogenschützen einen Kreis

 

drehen, das Gestirn wird voll ;

zu schießen                                                                           jetzt verstehe ich das ganze! Das

bildrünstig draußen –

 

Ganze! Alles ist die Außenseite, die Ausgeburt von dem großen Ge­-

 

stirn, von dem ich die ganze Zeit sprach! eine rotierende Lichtkein freier in

 

Lichtmasse, die außer sich nichts hat                           runde Abstufungen

Raum alles ausfüllt                                               rasende Zwischenräume

sich selbst skulptiert                                                           leer aber Feuer

 

Und dieser Lichtraum wirft seinen Schatten in sich selbst

Kugel und Umraum über sich selbst zusammengebogen

sind ineinander                                            durch den Wirbel introvertiert

 

der Schatten kreist in ihm um die Achse ist man außen,

auf freien, nach innen ansteigenden Flächen ist es hellgelb,

in sich gewölbt ist jede Fläche ein Diskus flimmerruhig,

 

wird man in den Schatten gerissen die Größe gibt dem Licht die

furchtbarer Ventilatorflügel Myriaden von Partikeln

wirds feuerdunkel, brodelnde Punkte und kurze Striche

 

Einheit mit dem Schatten. Ich bin in dieser Wirbeleinheit, jetzt

ich stehe bis jetzt nur in seiner Binnenspiegelung, bin böig auf

ich lebe eben im heißen Rosa    die Hitze zieht die Kehle zu –

 

kommt der Schatten kreisend über uns herab. Natürlich! Was

die Wand geworfen. Bedeutet dir das was? Tonius' eindringliche

 

soll das. Jetzt hat er sich wieder eingemischt –

Stimme, sie warnt! nur noch himmelstößige Thermen sind da, in

 

            daran verrät sich die Tapete in den Galerien Fabelwesen,

Porphyr ;jetzt rückt sie in Säulen vor, merkwürdige buntgestickte

 

was ist das überhaupt für ein Stil? Und diese alte Festung voll

Figuren, ich bin doch kein Tourist! stürzt ein, Tonius fällt

 

weißer Galerien stak im Weltenfachwerk, im allgemeinen Auf-

eine Büste von der Wand, die Strukturen im brandroten Raum

 

stieg bricht die Konstruktionshalle durch, jetzt sehe ich im Dach-

gegen das altersgrüne Sperrdach, es ist nicht Gebälk, Jahrhunderte

 

gestühl Abertausende von Toten hängen    ich fahre in einem

von Toten fallen beim Aufbruch des Daches          durch splittern­-

und der lautlose Ungrund ist kaum noch zu erahnen in jene über­-

 

riesigen Spachtelkorb hinab   unten greift's und zieht's am Kran-

de Planken gestoßen   hinauf wie das grappelt, alles hängt sich

klaren Polarhimmel   hinaus das Weltgerüst fängt fern zu schrei-

 

raffer, schwillt an gegen mich will etwas von mir               aus den flehen­-

an mich, sie schreien in meine Korbwand hinein                 schüttelt mich

en an, du kannst das Schreien überhaupt nicht hören hinaus in den

Feuerschatten

 

den Drohungen                                   in diesem jähen Rückzug begreife ich -

der Eisenkorb                                      im Schatten ist alles, was ich gesehen!

vorbeifahrenden                                        wo er über das Tosen dahingleitet,

der Rotation                                         entstehen Weltbilder aus dem Licht...

 

am Wendepunkt in die Achse zurückgejagt ;

Blasenmeerstraße auf dem Feuerraum;                                          ein weißer

das ganze All ist aus dem einen Anflug ;

der fliehende Innenschatten wirft's –

 

Aufriß, Stille außer Raum, ich bin frei ; ruhiger, vorwurfsvoller

Glanz ach, die ist gar nicht rosa, die Tapete, sie ist ja

ich höre mich getroffen aufschreien, zergeistert und

triumphierend funkelnd stürzt sich Tonius auf den Pro-

will alles sagen und jage mit dem Finger in der Hand

 

weiß!

albern da! da!                         und die Lichtmasse kehrt ihren Schatten nach

tokollblock                                   umkreist mich einmal ganz und stürzt sich

dem Gestirn nach

 

außen und es beginnt in zähen Teigströmen heftig zu schneien,

jäh vor der Ecke, in die Tapete, schmerzhaft stehen die Augenkan-

 

es geht wieder ins weinrosa WeItgerüst hinunter, großspurige

ten übereinander unendlich flacher Haufe unten im Anstieg die

 

Bahnanlagen, das also bleibt. Und in der Welthalle fallen die Tur­

Erde bleiweißer Müll, Grundrisse, Wasserspiele aus Leibern,

 

ner, überschlagen sich, fallen immer einwärts, ohne jemals aufzu-

die Tiefe ist nicht da, nicht abzusehen, sie fallen nur, große,

hätte ich mich nur nicht vom Staunen übermannen lassen ich rut-

 

schlagen                                                                           traurig und still ists.

pendelnde Knoten                                           jetzt gleitet es wieder aufwärts

sehe am Gestänge abwärts               schwer kommt's zum Stehen

 

Und plötzlich begreife ich.

Gerüste schöpfen Atem. Ich hatte eine Vision. Dieser blanke

in starken Figuren.

 

Augenblick, das war die Vision ! Alles andere war Bilderfolie. Das

 

Die ist ja gar nicht rosa, die Tapete, sie ist weiß!

Das habe ich in diesem Spiegel, der die Dinge überwindet, erkannt.

war tatsächlich der Engpaß der Durchblick in die raumlose Offenba-

 

Habe ich nicht in einem Buch fin de siècle gelesen, er hat die

das ist ja das sichere Kennzeichen für einen Laffen, habe ich das

rung    der ausruft: die Tapete ist ja gar nicht rosa! Wieso verfie-

 

Vision gehabt und hat nichts davon. Ich bin der Laffe. Du hast

wirklich gelesen, bilde ich mir das ein? du bist völlig unvorbe-

le ich sonst auf den Namen Laffe? wogt die Brandmauer des Unend-

 

nichts erwartet. Als hätte ich im Höhepunkt nichts Wichtigeres

reitet eingestiegen. Die Tapete ist ja gar nicht rosa! aber da

lichen vor und zurück.

 

zu sagen gehabt ;                                               mit dem Schwung des großen Schattens an die

kommt's heraus –

 

nackte Wand geknallt, peng! In dir ist nichts drin.

 

[Die Simultaneität nimmt wieder zu, die Versuchsperson erhofft sich einen zweiten Durchbruch und glaubt sich diesmal vorbereitet.]

; da geht Tonius nüchtern hinaus, Kaffeewasser aufsetzen.

Die ist ja gar nicht rosa, die Tapete, sie ist weiß! Weiter steht im Protokoll nichts. Tonius war müde, mich auf die Wand starren zu sehen, und ich hätte auch gar nichts gesagt. Dabei bin ich doch erschrocken, als ich ihm sagte, ich sei ein Laffe, und er vielsagend nickte: definitiv enttäuscht. Wie ich noch einmal auf die Probe gestellt werden sollte und Tonius ging hinaus, und jetzt, jäh zwischen den strömenden Memoiren der Dinge verlassen, brechen sie auf mich ein, ich bin wie der ihr Sammelpunkt, ziehen mich in titanischen Verzerrungen zur Rechenschaft, sie sind empört. Verbittert. Als hätte ich mich lumpen lassen. Und kann nichts antworten, Tisch, Bücher, Teppich, Wände fallen zerschwollen über mich her, sie nehmen Rache an ihrem Sachwalter ; ich habe etwas verscherzt. Ich schreie um Hilfe, Tonius steht an der Tür: dämonischer Arzt. Aus der Küche durch den langen Gang kommt das tiefe, gute Tock;Tock des Weckers, der die ganze Zeit ein richtiges Wort bereit hatte, wie ein älterer Freund. Pocht, ein in sich selbst ruhender Lebensmut pocht von dort, und ich blicke zurück ins Zimmer, grauweiße Wände, alle Dinge ausgebrannt an ihrem Platz, und ich zucke die Schultern in einem ausgehölten Gefühl vor dieser schäbigen, nackten Visionsstube eines Dilettanten, rieche den ganzen Mief einer Pariser Wanzenmansarde fin de sìècle Es riecht rosa. Komm, ich kenne das, sagt Tonius. Wir gehen in die Küche.

Zusammengebuckelt stehe ich da. Der heiße Kaffee ; wie ein Hund, den man aus dem Wasser zieht. Begann Unendlichkeit dort, wo mich der weltenbildende Schatten an die Wand schlug, oder nur der eine Blick durch den Brennpunkt. Dort, wo ich alles verstand, gehörte das dazu, oder nur das, wo ich nichts verstand? Vorsichtig frage ich: was war nun eigentlich die Vision? Wie meinst du das? Ja, war es nur der Moment, wo ich schrie, die Tapete wär gar nicht rosa? Nun, sagt er, die Visionen waren doch das, was du vorher hattest. Deswegen fragte ich dich doch, ob dir das was bedeute, oder ob es dir nur wie Kino wär, ob du selbst drin wärst, du warst ja so merkwürdig depersonalisiert Na, du warst ja kaum mehr herauszuholen, so weit kann man sich allein gar nicht einlassen, wenn niemand dabei ist.

[Nach der Angst und der Unterbrechung durch den Kaffee setzt der weitere Rücklauf ein, gewissermaßen die andere Seite des Mahlstrorns jenseits des Wirbelpunkts. Endlose Schneckengewinde, eine schwächere Erscheinung der Lichtumdrehung, das »Weltgerüst« aus Rädern; jedes »Entkreisen« wird schließlich als flacherer und blasserer Abdruck der Vision empfunden. Die Gedanken kreisen immer mehr um die Frage, ob die Lichtumwälzung Bild war oder zur Vision gehörte, ob man also etwas »gesehen« hat oder nicht, oder ob die blanke, gegenstandslose Erkenntnis (»die nackte Wahrheit ist eigenschaftslos«) nicht blanke Selbstvemichtung war und »das Geschrei um die Tapete die letzte geistige Kraft zur Selbsterhaltung« War »im roten Bilderrausch das Zentrum, das also, was im feurigen Schmelztiegel zu gewinnen war? Oder einfach ; ein jäher Ausfall des Rausches«. je gewisser ein dramaturgischer Sinn und damit eine beabsichtige Steuerung von der Brechung der physischen Widerstände (Zwangsaffekte), dann der intellektuellen (Bilderflucht), dann der psychischen (Leere, Tisch) bis zur Verschmelzung mit der Tapete auf einen Durchbruch, eine »ultima ratio« hin von der Versuchsperson erkannt wird, desto stärker nimmt das Schuldgefühl der Versäumnis zu. Mit der Erschöpfung wächst die Ernüchterung.]

Der Ringkampf spielt sich nur noch im Zimmer ab. Die Wände suchen die Beton ;  decke zu heben, die schlammig niedergeht, ich ziehe den Kopf ein, doch bringen die grünrosa geronnenen Tapeten die Decke zum Stehen und schieben sie mühsam wieder rauman, aber in widerlichen Strömen unterdrückt sie wieder und wieder drängen die zusammengesackten Wände sie hoch bis schließlich ein breiter Grenzstreif, Niemandsland auf ziemlich niedriger Höhe, die jetzige Decke wird, anerkannt von den Wänden. So unentschieden rinnt die Ausdrucksmühe der Dinge aus. Die zermürbte Wirklichkeit, die ich sehe, ist einfach ein unentschiedener Waffenstillstand. Welch flache Resignation überall!

Tonius spricht auf mich ein, aber ich verstehe immer nur die akustischen E Unterschleifen. Die hellen Laute sind noch über der Strömung im Raum. Von  den Vokalen erkenne ich nur das a, ich habe die untere Hälfte. Manchmal fällt s auch ein ganzes Wort auf den Strömungsspiegel ;und ich soll Antwort geben und nur ein Wort steht da gespiegelt, von seinen Vorläufern. nur noch ein Waten. Na, du willst wohl die ganze Nacht nachholen, höre ich plötzlich wie einen kalten Windstoß über Wasser. Tatsächlich rauche ich wie ein Irrer schon seit geraumer Zeit, gehe im Zimmer auf und ab, und wie ich spreche, bin ich ein Matrose mit spitzer Nase in Holland, darin auch ein dante-lesender Student mit Schal in England, auch die Silhouette eines robusten spanischen Arbeiters, viele, die ich gar nicht erkenne, nur spüre als Schichtblatt, das alles bin ich zwischen Wand und Körper in anderen Profilen, der spricht, ist nur der körperlichste unter ihnen. Plötzlich: das ist also, was man eine Generation nennt. Daß man das erst als Nachklang einer Ekstase erlebt und nicht gleich aus der Sprache heraus! Ich kann jetzt inmitten der Selbstauflösung der Bilder wachrufen, was ich will: aber es bleibt beliebig. Ich kann nicht mehr entsteinern.

Die Straße ein Geschützrohr. Man kommt in die Finsternis gar nicht hinein. Ich lasse mich breitschlagen, ins Bett zu gehen. Die Stehlampe hält Wache, ich sitze allein auf dem Bett. Leergefegt und eingeweiht. Nur mit einer fahlen Klarheit angewärmt, sie macht mir die abgeblaßten Dinge liebebedürftig. Ich fühle mit ihnen. Ich verstehe euch jetzt und werde euch helfen. Ich verstehe das Sendungsbewußtsein der Religionsstifter und Mystiker ; und schäme mich meines Erlösungswillens; aber dieser einwesentliche Ungrund ist allein da. Das klingt nach nichts, aber genau so ist es. Die fassungslose Sprache der Mystiker! Und ohne Glaube wird die Sprache armselig ; oder jedes Wort müßte ein Film sein. Und alle Worte gleichzeitig laufen: Die Zeit ist eingerollt in Raum, der nur Bewegung ist. Das ist die größte Leistung der Menschen, die Sprache daß man nicht einmal sagen kann, was man gesehen hat! Geschweige, wie. Offenbar ist das Bewußtsein ein äußerer Kreis, das Zentrum, die reine Erkenntnis, ist ohne Sprachflecken; deshalb habe ich im lumen naturale nur gesehen (»nichts« gesehen), in diesem bloßen Augenblick ... zum Donnerwetter, das Fünklein! Das ist es. Eine alchimistische Offenbarung. Pharmazeutischer Bühneneingang ins Unendliche. Und die Pilze der Seherin? Die Dämpfe der Pythia? Das Fasten der Mystiker? Einen Hungerrausch hatte ich einmal exerziert, die Tür blätterte in Schichten vieler Geheimschriften auf, es waren die Namen aller Menschen, und ich taumelte darauf zu ; als ein Kreidestrich, der im Fall auf die Tür verwischte.

Und was sie sahen, warum können das nicht vorgefaßte Einbildungen gewesen sein. Wenn ich mit einer genauen Vorstellung hineingegangen wäre, wär sie mir nicht erschienen? Der Aschenbecher ist zu weit, ich ziehe den Tisch heran. Er bockt. Es ist ... der TISCH. Gebannt (»reduziert«), aber noch erkennbar. Daß ich das so schnell vergessen konnte. Ich drehe mich auf die andere Seite, etwas steht immer hinter mir, nehme ein aufgeschlagenes Buch wir erleben eine merkwürdige Erscheinung: Gestammel als Verständigung zwischen Menschen.

Werde mit dir nicht zu vertraulich ! Die Worte standen nur da, um Zwischenzeilen zu schaffen. Freiheit kann man nicht simulieren.

Als ich das Licht löschte, wurde das Zimmer kubistisch. So stellt es sich selbst vor: ineinandergeschachtelte Räume und das Bett darin gebrochen, als Kind fühlt man das. Ich erinnerte mich nicht an meine Kindheit, ich war sie halbbewußt. Die Ratten kamen, und es huschte wirklich, als ich Licht machte, aber dann war es doch nur der dicke Nachtfalter, der gegen den »Nachtteil der Tür« Stieß, das Fenster, ja.

Ich habe nur die Form einer Vision erlebt. Meine Offenbarung war: so, das ist es. Die Erstarrung im Absoluten wäre durch Schauen zu überwältigen gewesen, aber mein inneres Auge hielt das ohne Wimpernzucken nicht aus. Ich hatte plötzlich großen Respekt vor den echten Mystikern. Ich konnte ihnen genau nachfühlen, das war alles. Der auslöschende Aufstieg, die helle Angst in der Erleuchtung (fürchtet euch nicht?), das Bewußtsein nachher, das auszutragen war, um aus dem Geheimnis, in das es durch uns geraten war, wieder herauszukommen. Gewiß, ich habe erfahren, was Leere ist. Was für ein Eigenleben den Dingen entzogen ist. Ich habe vielleicht in einer Art vierter Dimension die Selbstdarstellung des Universums gesehen, ja meinetwegen aller gewesenen und unerschaffenen Universen innerhalb und außerhalb unseres Blickrands und den Grund ihrer Entstehung obendrein, aber ich weiß. dahinter fing es überhaupt erst an. Ich weiß jetzt, was eine Vision ist. Ich hatte sie nicht.

Der Kater dauert seit Wochen: Die Wirklichkeit ist ein Strich in Gesichtshöhe. Außenseiter des Überwirklichen gewesen, bin ich Außenseiter des Wirklichen geworden, Ich habe mich zu plump zwischen zwei Stühle gesetzt, sie brachen ab. Um so besser werd ich auf dein Boden sitzen.

 

Bonn, den 29. September 1963                                                            Georg Jappe

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